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Ein Langzeit-Desaster

Wie die Folgen der Pandemie Afrikas Entwicklung schädigen

Die bremer kirchenzeitung (bkz) hat für ihre Juli-Ausgabe Interviews mit Bismark Osiakwa, Hermann Katchao und Heike Jakubeit geführt. Osiakwa war Süd-Nord Freiwilliger in der Ev.-ref. Gemeinde in Bremerhaven und ist seit gut zwei Jahren wieder zurück in Ghana. Katchao arbeitet zurzeit als Freiwilliger in der Geschäftsstelle der NM und stammt aus Togo. Jakubeit ist seit 2019 Generalsekretärin der Norddeutschen Mission. Wir drucken im Folgenden die Interviews mit freundlicher Genehmigung der bkz ab.

Ghana und Togo leiden an der Corona-Pandemie und deren Folgen. Das UN-Impfprogramm „Covax" ist kaum spürbar, und dem ganzen afrikanischen Kontinent droht eine schwere Wirtschaftskrise. Die dortigen Kirchen sind seit 185 Jahren mit der Norddeutsche Mission in Bremen verbunden, die ihre Partnerkirchen und deren Entwicklungsprojekte unterstützt. Zwei Erfahrungsberichte aus Ghana und Togo.

Bismark Osiakwa, Ghana:

„Für ein Land in Entwicklung wie Ghana ist ein Lockdown von einem Jahr bitter. Ich fürchte, wir werden lange brauchen, um uns davon zu erholen. Unser Lebensstandard hat sich deutlich verschlechtert. Der Handel kam fast vollständig zum Erliegen. Märkte und kleine Läden waren geschlossen, was vielen Menschen ihr Einkommen genommen hat. Viele, vor allem junge Menschen, sind arbeitslos. Die Regierung hat darauf reagiert: Strom und Wasser gab es für die Mehrheit der Bevölkerung kostenlos. Auch die Mobilfunk-Tarife wurden gesenkt, was im Alltag wichtig ist.

Das Langzeit-Desaster beginnt erst. Denn über sehr lange Zeit waren die Schulen und Kindergärten geschlossen. Für das Online-Lernen fehlt die Infrastruktur. Viele Eltern sind frustriert. Eine fatale Entwicklung, denn Bildung und Qualifizierung sind der Schlüssel zur Zukunft! Es gibt bei uns viele private Schulen, die wohl nicht mehr öffnen werden, weil sich die Lehrer beruflich umorientiert haben.

Missbrauchsfälle, Kriminalität und häusliche Gewalt nahmen zu, auch psychisch sind viele Kinder ausgebrannt. Die Zahl der Teenagerschwangerschaften ist sichtbar gestiegen, was für den Bildungsweg von Mädchen besonders furchtbar ist. Zwar gehörte Ghana zu den ersten Ländern, die bereits im Februar Impfstoff-Spenden bekamen, aber die Impfungen konzentrierten sich vor allem auf die Hauptstadt Accra. Seit Ende April stockt die Impfstoffversorgung, auch weil Indien aufgrund der eigenen Lage keine Impfstoffe mehr exportiert. Ich selbst warte auch schon lange auf meine Zweitimpfung, aber es gibt keinen Impfstoff.

Die Menschen in Ghana haben viele Fähigkeiten, doch momentan verlieren viele die Hoffnung, wenn sie nach ihrem Studium oder ihrer Ausbildung keinen Job finden. Da braucht es internationale Hilfe und wirtschaftliche Zusammenarbeit, um den Ghanaern und Ghanaerinnen Jobs und damit eine Perspektive zu geben."

Pita Hermann Katchao, Togo:

„Die Zahlen der Erkrankten und der Toten in Togo sind im Vergleich zu Deutschland sehr gering, aber es wird auch kaum getestet. Viele halten die Krankheit für eine Erfindung der Regierung, der sie nicht trauen. Es gibt ein Stadt-Land- und ein Bildungsgefälle. In der Hauptstadt Lomé ist das Tragen einer Maske Alltag, auf dem Land nehmen die Leute das Virus nicht ernst.

Die Einschränkungen im öffentlichen Leben waren über fünf Monate hinweg sehr streng, was wirtschaftlich schwere Folgen hat. Viele Leute arbeiten in Minijobs oder anderen ungesicherten Beschäftigungsverhältnissen. Für sie waren die wirtschaftlichen Folgen existenzbedrohend, zumal es keine Hilfen wie in Deutschland gab: Keine Veranstaltungen mehr, kaum Handel, selbst die Kirchen fuhren ihren Betrieb herunter und mussten teilweise ihre Zentren schließen.

Unsere Schulen mussten ebenfalls für fünf Monate schließen, und an digitalen Unterricht war nicht zu denken. Sie haben versucht, per WhatsApp Unterricht zu machen, aber das funktioniert natürlich nicht wirklich. Viele Schülerinnen und Schüler haben auch kein Smartphone, oder die Datenverbindung ist zu schwach. Es gab Schulfernsehen, das aber nur in der Hauptstadt zu empfangen war. Auf dem Land fehlen Strom und Fernsehgeräte. Corona hat eine Bildungslücke hinterlassen, und die Kinder und Jugendlichen sind gerade mit dem Nachholen überfordert. Weil die Eltern im Lockdown kein Schulgeld gezahlt haben, suchten sich die Lehrer teils andere Jobs, und jetzt fehlen sie.

Impfen ist theoretisch freiwillig, faktisch haben wir aber eine Impfpflicht. Die Regierung hat anfangs einmal AstraZeneca-Impfstoff im Ausland gekauft, aber die Impfquote ist noch sehr gering, weil kein Nachschub kommt. Gleichzeitig normalisiert sich das öffentliche Leben gerade wieder langsam."

Heike Jakubeit, NM:

Wie wirkt sich die Pandemie in Westafrika aus?

Ich beobachte vielschichtige negative Folgen: Die Zahl der Menschen unter der Armutsgrenze ist rasant gewachsen. An vielen Stellen wurden über Monate hinweg keine Gehälter gezahlt - durch das solidarische Miteinander in den Familien wurde das teils aufgefangen. Es gibt keine sozialen Sicherungssysteme und keine Coronahilfen, wie bei uns - und wann die Wirtschaft wieder Fahrt aufnehmen wird, ist nicht absehbar.

Was bedeutet das für den Alltag der Menschen?

Lebensmittelpreise oder die Kosten für Überlandfahrten mit Mini-Taxis haben sich teils verdoppelt. Wenn man gleichzeitig sein eigenes Einkommen verloren hat, sind die Auswirkungen dramatisch. Auf dem Land haben es viele Menschen aus Furcht vor Ansteckungen vermieden, die dortigen Gesundheitsstationen zu besuchen. Das hat den Gesundheitszustand der Bevölkerung insgesamt nachhaltig verschlechtert.

Wie steht es um die Impfgerechtigkeit?

Von einer flächendeckenden Impfversorgung sind beide Länder noch weit entfernt, obwohl sie strukturell für die Pandemiebekämpfung gut aufgestellt sind: Meldesystem und Aufklärung funktionieren gut, auch die Impfstoffverteilung würde gut funktionieren, wenn es ausreichend Impfstoff gäbe. Ghana und Togo haben zwar anfänglich über das COVAX-Programm Impfdosen bekommen, doch momentan stocken die Lieferungen. Es geht nicht darum, in Afrika zu impfen, damit wir in Europa geschützt sind. Sondern es geht um globale Gerechtigkeit!

Was tut die Norddeutsche Mission gegen die Pandemie-Folgen?

Wir unterstützen landwirtschaftliche Programme, die die Ernährungssouveränität erhöhen sollen. Die Menschen in Westafrika sollen unabhängiger werden, indem sie ihre Lebensmittel verstärkt selbst erzeugen. Wir unterstützen Gesundheitsstationen auf dem Land, aber auch Bildungsprojekte, z.B. Schulen. Das sind nachhaltige Infrastrukturprojekte, die auch helfen, die Folgen der Pandemie zu bewältigen. Corona hat die Herausforderungen in Afrika verstärkt. Wir müssen Solidarität stärken und die deutsche Entwicklungszusammenarbeit deutlich aufstocken. Die kirchlichen Hilfswerke kennen ihre Partner vor Ort und müssen nicht mit korrupten Regierungen zusammenarbeiten. Die Spenden kommen an!

 

Aktuelle COVID-19-Zahlen (Stand 29.7.2021)

für Ghana: 4.983 aktuell Infizierte; 823 Todesfälle; Inzidenz 12,4

für Togo: 971 aktuell Infizierte; 150 Todesfälle; Inzidenz 7,2

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